Starkregenvorsorge – im Interview mit Dr. Lisa Broß vom DWA

Dr.-Ing. Lisa Broß ist Sprecherin der Bundesgeschäftsführung der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) und spricht in dem Interview über das Thema Starkregenvorsorge.

Starkregenereignisse nehmen auch in Deutschland zu, und mit zunehmender Betroffenheit der Bevölkerung wächst auch die Aufmerksamkeit für eine klimaangepasste Stadt- und Siedlungsentwicklung. Wir fragen Dr. Lisa Broß nach aktuellen Herausforderungen, entsprechenden Maßnahmen und zugehörigen politischen Rahmenbedingungen.

Dr. Lisa Broß, Sprecherin der Bundesgeschäftsführung der DWA

ZKA: Frau Dr. Broß, Sie bezeichnen Wasser als zentrales Element für die Klimaanpassung im urbanen Raum. Können Sie uns kurz erklären, warum dies so ist?

Broß: Sehr gerne. Die Tage, an denen Wasser in der richtigen Menge vorhanden ist, nehmen ab. Es ist ein steter Wechsel von zu viel Wasser oder zu wenig Wasser. Bei zu wenig Wasser leidet unter anderem das Stadtgrün, die Parks und die Bäume. Zu viel Wasser kann zu Überflutungen und Hochwasser führen. Durch den Klimawandel werden sich diese Situationen mit zu viel oder zu wenig Wasser verschärfen. Auf der einen Seiten werden Starkniederschläge häufiger und auch intensiver, auf der anderen Seite nehmen aber auch lange und heiße Trockenphasen zu. Dazu kommt dann häufig noch Hitzestress, nicht nur für die Natur, auch für die Bevölkerung. Und bei all diesen Punkten hilft der wasserbewusste Umbau unserer Städte entscheidend. Ganz vereinfacht formuliert: Niederschläge werden vor Ort zurückgehalten und genutzt, zur Bewässerung und zur Grundwasseranreicherung, und nicht mehr schnellstmöglich aus der Stadt abgeleitet. Dies mindert die Folgen von Starkregen deutlich und trägt zur sicheren Versorgung in Trockenzeiten durch Speicherung bei. Durch die entstehende Verdunstungskühlung können die Temperaturen zudem lokal um mehrere Grad reduziert werden. Und besonders schön: Solche Maßnahmen dienen nicht nur der Klimaanpassung, sie erhöhen auch die Lebensqualität in den Städten enorm. Ganz plakativ gefragt, kennen Sie einen Biergarten auf Beton und ohne Bäume?

ZKA: In der Tat, ein sehr überzeugendes Beispiel. Welche städtebaulichen und planerischen Maßnahmen können denn konkret ergriffen werden, um die Resilienz gegenüber Starkregen und Überflutung zu erhöhen? 

Broß: Grundsätzliches Ziel muss ein möglichst natürlicher Wasserkreislauf sein. Dieser ist in dicht bebauten Innenstädten natürlich nur schwer zu erreichen. Aber in diese Richtung muss es gehen. Das heißt in erster Linie, möglichst viele Flächen zu entsiegeln. Dies gilt sowohl für den öffentlichen Raum als auch für private Grundstücke. Und wir reden hier nicht nur von den Baumärkten und Supermärkten mit großen Parkplätzen. Auf jedem Grundstück muss geprüft werden, inwieweit es niederschlagstechnisch von der Kanalisation abgekoppelt werden und das Wasser stattdessen vor Ort zurückgehalten und wenn möglich auch genutzt werden kann. Versickerungsfähige Parkplätze, Dachbegrünungen, Fassadenbegrünungen, Zisternen, es besteht definitiv ein großes Spektrum an Möglichkeiten. 

Um Schäden durch Starkregen bestmöglich zu vermeiden, müssen zudem zusätzlich temporäre Speichermöglichkeiten für das Niederschlagswasser geschaffen werden. Wir sprechen hier von multifunktionalen Flächen. Beispielsweise können Spiel- oder Sportplätze so gestaltet werden, dass sie im Starkregenfall bewusst überflutet werden und Wasser speichern. Wenn ein Sportplatz bei einem fünfjährlichen Starkregenereignis als Retentionsbecken genutzt wird, bedeutet dies, dass er im Schnitt alle fünf Jahre für ein paar Tage nicht für den eigentlichen Zweck genutzt werden kann. Dies halten wir für eine absolut vertretbare Nutzungseinschränkung. Wie gut solche multifunktionalen Flächen funktionieren, können Sie sehr gut in niederländischen Städten wie Rotterdam sehen. Aber auch in Deutschland gibt es schon sehr schöne Beispiele.

ZKA: Trotz aller Maßnahmen zur wasserbewussten Stadtentwicklung. Einen vollständigen Schutz gegen Überflutungen durch Starkregen wird es ja nicht geben. Wie können Gebäude und Infrastruktur so gestaltet werden, dass sie besser vor Wassereintritt geschützt sind? 

Broß: Bei Gebäuden helfen häufig schon recht einfache Maßnahmen. Ganz wichtig ist natürlich die Rückstauklappe. Die Kanalisation kann nicht auf wirklich extreme Niederschläge, wir reden hier von Niederschlägen, die seltener als alle fünf Jahre auftreten, ausgelegt werden. Das ist technisch theoretisch zwar umsetzbar; jedoch wirtschaftlich nicht sinnvoll. Extreme Niederschläge können aber die Kanalisation in kurzer Zeit überlasten. Das Wasser fließt dann nicht schnell genug ab, staut sich auf und sucht sich andere Wege. Über die Hausanschlussleitungen kann es schließlich in das Gebäude eindringen und Keller sowie tiefer liegende Wohnräume überfluten. Hier hilft dann eine Rückstauklappe. Zudem sollten sämtliche Hauseingänge nach Möglichkeit über eine Stufe oder kleine Rampe verfügen damit Wasser über diesen Weg nicht leicht in das Gebäude eindringen kann. Auch die Oberkanten von Kellertreppen oder Lichtschächten sollten im Idealfall mindestens zehn bis 15 cm aus dem Boden ragen. Türen können mit Plastiksäcken, die sich mit Wasser füllen lassen, zusätzlich abgedichtet werden. Es gibt sehr viele Möglichkeiten. Aber, auch das muss gesagt werden, diese helfen immer nur bis zu einer gewissen Wasserhöhe. Überschwemmungsgebiete sind Überschwemmungsgebiete, in diesen Gebieten kann man ein Haus kaum sicher gegen Hochwasser schützen. Noch komplexer ist es im Bereich Infrastruktur. Ich kann hier nicht alle Möglichkeiten und Erfordernisse aufzählen, möchte aber auf unser Merkblatt „DWA-M 553 - Hochwasserangepasstes Planen und Bauen“ verweisen. Hier findet man viele sehr wertvolle Hinweise, wie Infrastruktur und Häuser gut gegen Hochwasser geschützt werden können.

ZKA: Sie haben vorhin schon verschiedene Möglichkeiten der wassertechnischen Klimaanpassung geschildert. In der Praxis scheinen die aber noch zu selten umgesetzt. Welche gesetzlichen Rahmenbedingungen sind aus Ihrer Sicht notwendig, um eine effektive Starkregenvorsorge zu gewährleisten?

Broß: Ganz grundsätzlich: Bund und Länder müssen die administrativen, finanziellen und rechtlichen Rahmenbedingungen für die flächendeckende Umsetzung der wasserbewussten Stadtentwicklung schaffen. Aber was heißt das jetzt konkret? Ein ganz wesentlicher Punkt ist die geplante Novelle des Baugesetzbuches. Im Bebauungsplan müssen Festsetzungsmöglichkeiten zur Hochwasservorsorge, zur Niederschlagswasserbewirtschaftung und zur Frei- und Grünflächenentwicklung vorgesehen werden. Zudem braucht es eine Pflicht zum wassersensiblen Bauen im unbeplanten Innenbereich und ein kommunales Vorkaufsrecht zur Grünflächenerhaltung. Auch eine Mindestbegrünungspflicht, hier geht es auch um Dachflächen oder Fassadenbegrünungen, sollte geprüft werden. Und wir reden hier nicht ausschließlich vom Neubau. Die grundsätzlich richtige bauliche Nachverdichtung im urbanen Raum muss in wasserbewusste Stadtentwicklungskonzepte eingebunden werden. Und, auch ein ganz wichtiger Punkt, es braucht mehr Anreize zur Eigenvorsorge der Bürger. Eine verbesserte Risikokommunikation gegenüber der Bevölkerung wäre hier ein erster wichtiger Schritt. 

ZKA: Sie haben unter anderem die finanziellen Mittel als grundsätzlich notwendige Rahmenbedingungen angesprochen. Wie können finanzielle Anreize für Kommunen geschaffen werden, um Präventionsmaßnahmen zur Starkregenvorsorge zu fördern? 

Broß: Kurz und knapp: Förderung und Gebührenfähigkeit. Bei der Förderung ist es wichtig, dass wir Förderprogramme auflegen, die die Umsetzung in der Fläche zum Ziel haben und ermöglichen. Bisher stand vor allem die Förderung von Leuchtturmprojekten im Vordergrund. Das ist nicht mehr notwendig. Es gibt sehr viele großartige Projekte, die zeigen, dass die wasserbewusste Stadtentwicklung wirkt. Sie ist technisch machbar, ökonomisch sinnvoll und steigert auch die Lebensqualität, das steht mittlerweile außer Frage. Jetzt muss sie großflächig umgesetzt werden. Wichtig beim Thema Finanzierung ist auch, dass diese langfristig ausgelegt ist. Die Kommunen brauchen langfristig Planungssicherheit. Wir plädieren stark dafür, Mittel aus der CO2-Abgabe für die wasserwirtschaftliche Klimaanpassung in den Städten einzusetzen. Denn es besteht definitiv ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und den entsprechenden Maßnahmen zur Klimaanpassung. Genauso wichtig wie die Bereitstellung von finanziellen Mitteln ist aber auch die Gebührenfähigkeit der wasserwirtschaftlichen Maßnahmen zur Klimaanpassung. Diese ist mit wenigen Ausnahmen kaum gegeben. In Nordrhein-Westfalen können beispielsweise auch oberirdische Maßnahmen zur Starkregenvorsorge über die Entwässerungsgebühren finanziert werden. Das ist aber die Ausnahme. Auch in anderen Ländern wären solche Regelungen sehr wünschenswert.

ZKA: Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht der Klimawandel bei der Zunahme von Starkregenereignissen? 

Broß: Definitiv eine sehr große. Dass mit dem Klimawandel sowohl die Intensität als auch die Häufigkeit von Starkregenereignissen zunehmen wird und bereits jetzt zunimmt, ist unumstritten. Dies zeigt leider auch bereits dieser Sommer. Neben den Hochwasserereignissen im Saarland, Rheinland-Pfalz sowie Bayern und Baden-Württemberg, die ja auch durch anhaltende ergiebige Niederschläge ausgelöst worden sind, nehmen auch die Meldungen über außerordentlich kräftige Gewitter vor allem im Alpenraum nicht ab. Die Empirie bestätigt damit die Prognosen der Klimawissenschaft. Diese hat in den letzten Jahren beim Klimawandel immer auch auf zwei Besonderheiten hingewiesen. Zum einen kann die Atmosphäre bei höheren Temperaturen deutlich mehr Feuchtigkeit aufnehmen, konkret sieben Prozent mehr Feuchtigkeit je ein Grad Temperaturerhöhung. Und aus den immer wärmer werdenden Meeren verdunstet ja auch deutlich mehr Wasser. Zum anderen wird das Wetter stationärer. Die Pole erwärmen sich deutlich schneller als der Äquator. In der Folge verlangsamt sich der Jetstream, Wetterlagen bleiben deutlich stabiler. Das gilt für lange Trockenphasen, das gilt aber auch für niederschlagsreiche Phasen. Nicht umsonst haben wir in Deutschland aktuell die nassesten zwölf Monate seit Beginn der Wetteraufzeichnungen hinter uns. In den Jahren davor war es deutlich anders, da fiel in den meisten Regionen Deutschlands gerade in der Vegetationsperiode im Frühjahr und Sommer viel zu wenig Regen. Und genau hierauf müssen wir uns vorbereiten, nicht nur in den Städten, sondern im gesamten Land. Nur über deutlich mehr Wasserrückhalt, durch einen natürlichen Landschaftswasserhaushalt aber auch beispielsweise größere Talsperren, können wir hier den notwendigen Ausgleich schaffen. Die wasserwirtschaftliche Klimaanpassung, also der Schutz vor Starkregen und Überflutungen auf der einen Seite, aber auch die sichere Versorgung aller Nutzergruppen bei langer Trockenheit, ist eine gewaltige gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das Gute ist, wir haben kein Wissensdefizit. Wir müssen jetzt gemeinsam dafür sorgen, dass langfristig ein Umsetzungsdefizit vermieden wird. Zum Schutz vor Starkregen, zur sicheren Wasserversorgung. Dass der Bund das Zentrum KlimaAnpassung gegründet hat, ist gerade vor diesem Hintergrund sehr zu begrüßen. Ich möchte mich daher sehr bedanken, dass Sie mir mit diesem Gespräch die Möglichkeit gegeben haben, die Lösungsansätze der Wasserwirtschaft den Leserinnen und Lesern Ihres Newsletters vorzustellen. 

 

ZKA: Frau Dr. Broß, wir danken Ihnen für dieses informative Gespräch. 

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