Newsletter #5: Schwerpunktthema: Naturbasierte Lösungen - Interview
Schwerpunktthema: Naturbasierte Lösungen
Im Gespräch mit Frau Sandra Naumann
Klimafolgenanpassung mit Naturbasierten Lösungen
Eine der größten Herausforderungen unserer Zeit ist, mit der Klimakrise umzugehen, um den Planeten lebenswert zu halten. Neben politischen Lösungsansetzen zählt der Erhalt des vorhandenen Ökosystems des Planeten zu den zentralen Aufgaben. Und die Naturbasierten Lösungen tragen maßgeblich zum Erreichen der Klimaziele bei.
Wir haben uns gefragt, was die Naturbasierten Lösungen (NBS) genau sind, was sie mit der Klimaanpassung zu tun haben und wie sie umgesetzt werden können?
Die Antworten auf diese Fragen hat uns Sandra Naumann gegeben. Sie ist Senior Fellow beim Ecologic Institute und dort zuständig für die Themenbereiche: Biodiversität und Naturbasierte Lösungen.
ZKA: Was versteht man unter Naturbasierten Lösungen?
Sandra Naumann: Unter naturbasierten Lösungen (NBS) versteht man Maßnahmen, die natürliche Funktionskreisläufe und somit Ökosysteme schützen, nachhaltig bewirtschaften oder wiederherstellen, um aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen wirksam anzugehen. Beispiele aus dem urbanen Raum sind die Renaturierung von Feuchtgebieten für den Hochwasser- und Grundwasserschutz, die Schaffung von Wildnis- und Blühflächen für mehr Biodiversität oder Parks zur Abschwächung von Hitzeextremen und als Erholungsraum. Der Vorteil von NBS ist, dass sie gleichzeitig eine Vielzahl an Vorteilen für das menschliche Wohlergehen, Widerstandsfähigkeit und die Biodiversität erbringen können und auf lange Sicht oft kosteneffizienter als rein technische Lösungen sind.
ZKA: NBS versuchen die Probleme in ihrer Ganzheit zu begreifen und zu lösen. Woran orientieren sie sich?
S.N. Meist wird mit NBS ein primäres Ziel verfolgt, wie bspw. zur Klimaanpassung, Schutz der Biodiversität oder des Wassermanagements. Es ist jedoch ebenso wichtig, bei der Planung mitzudenken, wie weitere Vorteile (sogenannte co-benefits) erbracht werden können. Darüber hinaus müssen NBS als lokal angepasste und systemische Interventionen geplant und umgesetzt werden, die – soweit wie möglich – auch miteinander vernetzt werden. Wenn man zum Beispiel urbane nachhaltige Entwässerungssysteme betrachtet, so geht es einerseits darum, mit einer Kombination aus grünen und blauen Flächen die Überschwemmungsgefahr zu reduzieren, Regenwasser zu filtern und zu speichern. Dies wirkt sich wiederum positiv auf die biologische Vielfalt und die flussabwärts gelegenen Wassersysteme aus. Zudem können Anlagen zur Speicherung von Oberflächenwasser so gestaltet werden, dass diese auch als Erholungsgebiete genutzt werden können.
ZKA: In welchem Umfang müssen Städte und Gemeinden aktiv werden, um der Klimakrise etwas entgegen zu setzen, bzw. diese gar abzuwenden? Und sind die Naturbasierten Lösungen ein probates Mittel dagegen?
S.N. Die Klimakrise sollte sich sowohl auf die Klimaanpassung als auch auf den Klimaschutz konzentrieren. Im urbanen Raum gibt es jedoch mehr Spielraum für naturbasierte Anpassung in Städten, während der Klimaschutz mit Kohlenstoffspeicherung eine größere Rolle in stadtnahen und ländlichen Gebieten einnimmt.
Die Klimaanpassung sollte als Querschnittsthema in der Stadtentwicklung bzw. gesamtheitlich in nachhaltigkeitsbezogene Management- oder Entwicklungskonzepte integriert werden. Mit Hilfe von Vulnerabilitätsanalysen können Städte die Intensität, mit der Mensch und Umwelt vom Klimawandel betroffen sein werden, untersuchen und daraus den entsprechenden räumlichen Handlungsbedarf ableiten. Die Verfügbarkeit von Frei- und Grünflächen bzw. deren Vernetzung und Biodiversität spielt dabei eine wichtige Rolle. Hier kommen NBS ins Spiel, die Teil der Lösung sind, aber die Klimakrise nicht allein bewältigen können. Forschung und Praxis zeigen bereits, welchen Beitrag NBS zur Klimaanpassung leisten kann. Grüne Dächer, Regengärten oder Bioretentionsflächen in dichtbebauten Innenstädten können bspw. Starkregenereignisse abpuffern und das Abflussvolumen bis zu 70-100% reduzieren. Grüne Infrastruktur kühlt die Temperatur im Durchschnitt um 1°C. Und ein junger, gesunder Baum hat einen Kühleffekt, der dem von zehn Klimaanlagen entspricht, die 20 Stunden pro Tag in Betrieb sind. Darüber hinaus leisten NBS einen wichtigen Beitrag zum Kilmaschutz, indem sie Kohlenstoff speichern oder wie grüne Fassaden zur Isolierung von Gebäuden und damit zu Energieeinsparungen beitragen.
ZKA: Wo sehen Sie die Herausforderungen bei der Umsetzung?
S.N. Die Multifunktionalität ist eine Stärke von NBS und kann gleichzeitig ein Hindernis für die Umsetzung sein, da die verschiedenen Stellen in der Stadtverwaltung meist nicht miteinander kooperieren. Außerdem gibt es im Vergleich zu traditionellen grauen Infrastrukturlösungen nur begrenzte fachliche Kapazitäten für die Planung, Umsetzung und Unterhaltung von NBS. Eine weitere große Herausforderung ist die Sicherung von Grün- und Freiflächen für die Umsetzung von NBS, die in der Regel aufgrund fehlender rechtlicher Grundlagen oder des Bebauungsdrucks nicht ausreichend ist. Es kann auch sein, dass Entscheidungsträger*innen das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit und Vorteile von NBS fehlt oder die Investitionskosten als zu „teuer“ eingeschätzt werden, ohne die langfristigen Vorteile zu berücksichtigen. Zudem mangelt es an innovativen Finanzierungsmechanismen und privaten Investitionen, welche die knappen öffentlichen Mittel ergänzen können. Und nicht zuletzt, können unerwünschte Nebeneffekte bei der Umsetzung von NBS auftreten wie bspw. Gentrifizierung oder soziale Ungerechtigkeit.
ZKA: Welche Maßnahmen sind aus Ihrer Sicht erfolgsversprechend und wo müsste stärker angesetzt werden?
S.N. Ich würde es eher so formulieren: vielversprechende Maßnahmen müssen stärker vorangetrieben werden, damit das volle Potenzial der NBS ausgeschöpft werden kann und sie auf breiter Ebene umgesetzt werden. Das bedeutet in erster Linie, dass die Akteure über Sektoren und Governanceebenen hinweg zusammenarbeiten müssen und dass geeignete institutionelle Strukturen und unterstützende rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen. Dies erfordert auch eine Abkehr vom Silo-Denken hin zu einer stärker integrierten Entscheidungsfindung und Planung, bei der die Stadt als Landschaft oder System betrachtet wird. Bei der Planung und Umsetzung von NBS in der Stadt sollte auch eine angemessene Bürgerbeteiligung ermöglicht werden, um die Vorteile von NBS für die Gesellschaft und jede*n Einzelne*n aufzuzeigen und die Vielfalt der kulturellen Werte der Bürger*innen zu berücksichtigen. Unterstützung und Anreize für die Zusammenarbeit mit privaten Unternehmen und Grundstückseigentümern können dazu beitragen, den Umfang der Grünflächen zu erweitern. Um die meist sehr begrenzten öffentlichen Haushalte zu entlasten, sind neue Finanzierungsmechanismen zur Förderung privater Investitionen notwendig, wie bspw. öffentliche Bürgerhaushalte, grüne Anleihen oder lokale Stewardship-Modelle. Letzteres ist vor allem für die langfristige Bewirtschaftung von Flächen wichtig. Und schließlich ist es immer hilfreich, die Wirksamkeit von NBS "vor Ort" zu demonstrieren und den Austausch zwischen Städten über "gute Praktiken" und Erfahrungen zu ermöglichen.
ZKA: Gibt es Unterstützung (Fördermöglichkeiten) seitens der Politik?
S.N. Ja, es gibt eine Vielzahl an Fördermöglichkeiten von der lokalen bis zur EU-Ebene. Mit der EU Biodiversitätsstrategie 2030 und der Forderung, dass europäische Städte mit mehr als 20.000 Einwohner*innen „Pläne für die Begrünung der Städte“ erarbeiten sollen, hat die Europäische Kommission auch angekündigt, dass Mittel über verschiedene EU Funds dafür genutzt werden können (Regionale Entwicklung, Kohäsion, INTERREG, LIFE). Auf der nationalen Ebene können bspw. die Städtebauförderprogramme, die Förderrichtlinie „Maßnahmen zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels“ oder das Sofortprogramm Klimaanpassung. Im Rahmen des nationalen Aktionsprogramms Natürlicher Klimaschutz, für welches rund 4 Mrd. Euro vorgesehen sind, eröffnen sich eventuell weitere Möglichkeiten. Und letztendlich hat auch die Lokalpolitik die Möglichkeit die Umsetzung NBS zu fördern bspw. durch gezielte Anreizprogramme zur Anlage von Gründächern oder Flächen zur Versickerung von Regewasser. Und darüber hinaus können sich Städte natürlich auch an europäischen oder nationalen Forschungs- und Pilotprojekten beteiligen.