Interview mit Heinrich Strößenreuther zu Flächenkonkurrenzen in der Klimaanpassung
Flächenkonkurrenzen sind ein zentrales Thema in der Klimaanpassung. Sie spiegeln die begrenzte Verfügbarkeit von Land und die vielfältigen Anforderungen an dessen Nutzung wider. In Deutschland bietet die Raumplanung Instrumente auf unterschiedlichen Planungsebenen, um unter anderem Klimaanpassung sektorenübergreifend zu planen und unterschiedliche Ansprüche an den Raum zu koordinieren.
Wir sprachen über dieses Thema mit Heinrich Strößenreuther, Geschäftsführer der Agentur für clevere Städte, Gründer mehrerer Klima-NGOs, Klima- und Verkehrsexperte, Lobbyist, langjähriger Umweltaktivist, Buchautor und Keynote-Speaker. Er hatte maßgeblichen Einfluss auf Gesetzgebungen, etwa durch den Volksentscheid Fahrrad, der schließlich im Berliner Mobilitätsgesetz mündete. Zuletzt initiierte er die Initiative Volksentscheid Baum, die dem Berliner Senat im November 2024 einen Entwurf für ein Berliner Klimaanpassungsgesetz (KAnGBln) zusammen mit 33.000 Unterschriften übergeben hat. Die umfassenden Maßnahmen des Gesetzes sind in einem Reader zum Gesetzesentwurf des KAnGBln nachzulesen.
Lesen Sie hier das Interview:
ZKA: Herr Strößenreuther, steht Klimaanpassung Ihrer Ansicht zur Folge zwangsläufig im Konflikt mit anderen Flächennutzungen oder gibt es bereits effektive Ansätze für die reibungsfreie Einbindung von Maßnahmen im Sinne von Hitze-, Hochwasser- und Starkregenschutz?
Strößenreuther: Meiner Einschätzung nach gibt es eine Reihe von Nutzungen, die gut mit Klimaanpassung vereinbar sind. Eine einfache Lösung bieten Flachdächer. Am Beispiel Rotterdam zeigt sich eindrucksvoll, dass eine gezielte Flachdach-Entwicklungsplanung auch eine systematische Klimaanpassung ermöglicht. Die Nutzung von Dachflächen bietet weniger Konflikte und eher Potenziale, um die Stadt in neuen Ebenen klimawirksam zu gestalten und zusätzlich Flächen für neue Nutzungen bereitzustellen. Allerdings befinden wir uns bei der Umsetzung noch in einer frühen Phase.
Andererseits gibt es aber auch handfeste Konflikte, bei denen eine Vereinbarkeit kaum möglich ist. Diese entstehen bspw., wenn es darum geht, Straßenbäume zu pflanzen. In der Volkswirtschaftslehre gibt es da den passenden Begriff des „Pareto-Optimums“: Dabei geht es darum, die unterschiedlichen Belange zu berücksichtigen und Lösungen für teils gegenläufige Interessen und Zielsetzungen zu finden. Einerseits sind die Flächen (noch) durch den Autoverkehr, konkret für Parkplätze, beansprucht, andererseits braucht eine Stadt die Bäume zur Hitzevorsorge. Die reine Umgestaltung von Stellplätzen hingegen, z. B. mit Rasengittersteinen, kann dabei durchaus flächenneutral erfolgen.
Die Thematik Klimaanpassung ist im Neubau meines Erachtens bereits besser etabliert, jedoch nimmt der Bestand die größte Fläche der Stadt ein. Hier können Flächen nicht einfach umgewidmet oder Häuser abgerissen werden, um Raum für Klimaanpassung zu schaffen. Die Herausforderung besteht folglich darin, die Klimaanpassung im Bestand zu verankern und dort versiegelte Flächen zu entsiegeln.
ZKA: In der Tat stehen Flächennutzungen vor allem im dicht besiedelten Stadtgebiet oft in Konkurrenz zueinander. So stellt sich in erster Linie die Frage: Wie kann Fläche konkret und zielführend für Klimaanpassung beansprucht werden?
Strößenreuther: Hierzu gibt es einerseits die klassischen Instrumente der Stadt-, Flächen- und Bauleitplanung, mit denen vorausschauend Flächen gesichert werden können.
Gerade in Bezug auf die Hitze- und Starkregenvorsorge erachte ich die Beschaffung großer Flächen, z. B. für die großräumige Versickerung, als größten Konfliktherd in den Städten, womit man sich im gleichen Konfliktfeld wie bei der Verkehrspolitik bewegt: Die Nutzung von öffentlichem Straßenland wird durch dessen Widmung bestimmt. Die jüngste Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO), die am 11. Oktober 2024 in Kraft getreten ist, berücksichtigt erstmals auch Klimaanpassung in der Stadtentwicklungsplanung. Der Entwurf des Berliner Klimaanpassungsgesetzes (KAnGBln), das wir für unseren Volksentscheid erarbeitet haben und in zwei Jahren beschlossen werden soll, sieht neben anderen verpflichtenden Maßnahmen zudem vor, den Straßenbaumbestand in Berlin bis 2040 um 270.000 Bäume zu erhöhen. Ferner soll gezielt dort eine blau-grüne Infrastruktur mit einem Zwei-Grad-Kühlungsziel und einem 50%-Regenwasser-Entkopplungsziel entstehen, wo thermisch hoch belastete Planungsräume, das sind in Berlin gut ein Drittel, vorliegen. Für öffentliche Gebäude ist eine Begrünung vorgesehen und Regenwasser, das auf versiegelten Flächen anfällt, soll nach dem Prinzip der wassersensiblen Stadtentwicklung genutzt werden. Ebenso soll der Senat dazu verpflichtet werden, Landes- und Bezirkshitzeaktionspläne aufzustellen.
Im Fall von Baumpflanzungen können klare Vorgaben geschaffen werden, wie es mit dem 1:3 Verhältnis erfolgt, das im Entwurf des KAnGBln etabliert werden soll. Demzufolge sollen für jeden gefällten Baum drei neue Bäume gepflanzt werden. Um dies zu verstetigen ist es aus meiner Perspektive wichtig, Kommunen bzw. private Auftragnehmer*innen von kommunalen Großprojekten sowohl auf Seiten der Planung als auch der Umsetzung zu befähigen, standardisiert, routiniert und unter Vergabe klarer Anweisungen vorzugehen. Dafür bedarf es eines regulatorischen Rahmens, der unmittelbar in das Alltagsgeschäft übergeben wird, sowie koordinierten Fachpersonals, das mit standardisierten Prozessen arbeiten kann. Ich bin überzeugt, dass man diese großen Ziele erreicht, indem die vielen kleinteiligen Maßnahmen als standardisierte Lösungen im Rahmenvertrag oder Generalunternehmervertrag ausgeschrieben und so reibungsfrei, konsequent, schnell und skaliert realisiert werden, dass die systematischen Veränderungen größtenteils unbemerkt realisiert werden können.
Aus Erfahrungen zeigt sich, dass sich oft Gelegenheitsfenster anbieten, um Erfolg in der Durchsetzung von Ausgleichsflächen zu haben. Nämlich dann, wenn – wie beim BaumEntscheid – das Baumfällen (etwa 6000 pro Jahr in Berlin) eine hohe Aufmerksamkeit hat und gefordert ist, für jeden gefällten Baum einen ökologischen Ausgleich zu schaffen. Das Thema „Flächen für Parkplätze schaffen“ ist dann für wenige Wochen in den in den Hintergrund gerückt und bietet damit eine hohe Chance, in Sachen Baumpflanzungen kurzfristig die Empörung über die Fällung zu nutzen und im Konflikt über die Parkplätze erfolgreich zu handeln.
ZKA: Und wer trägt die Verantwortung, Flächen für Klimaanpassung bereitzustellen? Wie schätzen Sie die Rolle der öffentlichen Hand und den Beitrag privater Eigentümer*innen ein?
Strößenreuther: Nun ja, für die öffentliche Hand besteht – auch nach dem Urteil des BVerfG - allgemein die Schutzpflicht (Art. 2 Abs. 2 GG), Schaden von den Bürger*innen abzuwenden. So wie ich das sehe, ergibt sich damit die Notwendigkeit, politisch dieser Pflicht nachzukommen. Dieser Gedanke steckt unter anderem hinter § 8, dem Berücksichtigungsgebot, im Bundes-Klimaanpassungsgesetz (KAnG) sowie § 9 des Berliner Klimaanpassungsgesetz (KAnGBln). Ich bin der Ansicht, dass gerade auch im Hinblick auf kleine Kommunen Klimaanpassung zur Pflichtaufgabe werden müsste, sodass Mittel dafür gezielt vorgesehen und einkalkuliert werden können. Wir vom BaumEntscheid wollen erreichen, dass sich in allen Kommunen die Investitionsbereitschaft in Klimaanpassungsmaßnahmen erhöht. Damit wollen wir erreichen, dass eine Stadt und ein Dorf lebenswert bleiben, auch wenn Hitze, Dürre, Starkregen oder Überschwemmungen zunehmen.
So wie ich das einschätze, ist es oft eine Frage der Prioritätensetzung, die von der Entscheidung der politischen Führung abhängt. Wir haben beobachtet, dass die Vorgaben von klimaanpassungsfreundlichen Bürgermeister*innen auch in der Verwaltung Klimaanpassungsmaßnahmen nach sich ziehen. Dabei spielt die Größe der Kommune an sich keine Rolle. Mit dem KAnGBln ginge die neue Pflicht einher, Landschaftspläne zu erstellen, um die Anforderungen der Bauleitplanung mit Umwelt-, Natur- und Klimabelangen planerisch miteinander in Einklang zu bringen.
Für Kommunen stellt sich dahingehend die Frage, ob man einen Landschaftsplan mit eigenen öffentlichen Ressourcen erarbeitet oder den Auftrag an Dritte vergibt. Um in Zeiten des Fachkräftemangels ein Großprojekt wie das KAnGBln schnell und effizient umzusetzen, denke ich, dass die Fremdvergabe von Planungsaufgaben wesentliche Vorteile bietet. Indem bspw. die Erarbeitung verteilt auf einzelne Projekte ausgeschrieben wird, kann die Umsetzung parallel vorangetrieben werden. Diese Methode spart aus meiner Sicht wertvolle Zeit und gewährleistet, dass die Fachkompetenz erfahrener Dienstleister zum Tragen kommt.
Um Klimaanpassung darüber hinaus im privaten Raum zu fördern, hilft es, Anreize zu schaffen. In Form von klassischen Förderprogrammen schaffen diese, sofern ich das bislang beobachten konnte, jedoch in der Regel kein flächendeckendes Rollout, sondern einzelne Pilotprojekte und sind zudem noch abhängig von der Verfügbarkeit von Budgets. Ich glaube, wenn es möglich wäre, Baugenehmigungen im Bestand an die klimaangepasste Ausgestaltung bspw. Aufstockungen an Dachbegrünungen zu koppeln, gelänge es, sozusagen eine Erlaubnis an einen Immobilienwert zu binden. Dadurch wäre Klimaanpassung für Private voraussichtlich interessant und könnte bestenfalls flächendeckend refinanziert werden, ohne dass öffentliches Geld in die Hand genommen werden müsste. Auf Landesebene könnte man dafür bspw. so den Anreiz schaffen, dass Wohnungs- oder Hauseigentümer*innen eine gesonderte Behandlung bei sonstigen städtischen Dienstleistungen (z. B. der Ausstellung von Prüfzertifikaten) genießen, wenn sie eine gute Praxis in der Klimaanpassung realisieren. Aktuell sind Kommunen allerdings die Hände gebunden, wenn es darum geht, Klimaanpassung von privaten Eigentümer*innen ohne finanzielle Kompensation zu erzwingen. Dafür bräuchte es meiner Meinung nach eventuell bestimmte Änderungen gesetzlicher Rahmenbedingungen auf Bundesebene.
ZKA: Welche sind denn aber die Herausforderungen, die öffentliche und private Akteure daran hindern, Klimaanpassung - im wahrsten Sinne des Wortes - flächendeckend umzusetzen?
Strößenreuther: Oft fehlt meiner Ansicht nach das Verständnis dafür, welch dringender Handlungsbedarf besteht, um Klimaanpassung durchzuführen. Ferner erachte ich gesetzliche Rahmenbedingungen zur Umsetzung von Veränderungen zu Gunsten der Klimaanpassung für notwendig, so wie sie bereits durch das KAnG geschaffen wurden. Doch dauert es erfahrungsgemäß, bis alle Richtlinien, Standards und Prozesse bei der untersten Verwaltungsebene angepasst sind und bis entsprechende Planungskapazitäten, Ressourcen und Tools zur Verfügung stehen, um das umzusetzen, was jetzt eine neue Stadtentwicklungsplanung benötigt. So wie ich das mitbekomme, wirkt sich das KAnG z. B. erst jetzt auf das Handeln und politische Wirken des Deutschen Städtetags aus. Auf dieser Ebene wird nun klar gefordert, mehr Geld für Klimaanpassung zur Verfügung zu stellen.
Für eine flächendeckende Klimaanpassung muss man intelligent mit Widerständen umgehen. Bürger*innen können Ängste vor Veränderungen haben, die ernst genommen werden sollten. Aber man kann aufzeigen, dass man schrittweise und mit Bedacht vorgehen kann. Nach all den Jahren, die ich mich mit Flächenkonflikten in der Stadt beschäftige, kann ich nur dazu aufrufen, smarter in Kommunikation, Change-Management, Projektmanagement und Realisierung zu werden. Dazu gehört auch Mut. So empfehle ich, einen smarten und schrittweisen Wandel anzutreiben, anstatt langfristige Pläne aufzustellen und zu langsam umzusetzen, die zu Unmut bei der Bevölkerung führen. Kleine, schrittweise Veränderungen sind oft erfolgreicher, da sie weniger Widerstände hervorrufen.
ZKA: Welche sind Ihrer Einschätzung nach die zentralen Argumente, mit denen man Flächeneigentümer - öffentlich sowie privat - davon überzeugen kann, mehr Flächen für Klimaanpassung zur Verfügung zu stellen?
Strößenreuther: Klimaanpassung hebt tatsächlich den Immobilienwert, wie eine Studie des IÖW zu diesem Thema veranschaulicht. Das gilt sowohl für Maßnahmen am Gebäude als auch Maßnahmen wie Baumpflanzungen im öffentlichen Straßenraum, die sich positiv auf die Umgebung auswirken. Ich denke, diesbezüglich müsste man auch über kommunale Abschöpfungsmöglichkeiten nachdenken, denn die Kosten der Allgemeinheit aufzubürden und an den Gewinnen nicht zu partizipieren, erregt Unmut. Fest steht für mich jedoch: Wenn jetzt nicht an den Klimawandel angepasst wird, werden wir in 10, 20 Jahren überhitzte Städte haben, in denen der Kauf von Immobilien deutlich weniger attraktiv wird. Ich gehe davon aus, dass die Immobilienwerte im Falle vorhandener Klimarisiken wie Hitze- oder Starkregenrisiko fallen werden. In den Städten, groß wie klein, besteht also aus meiner Sicht der dringendste Handlungsbedarf.
Ich bin überzeugt, dass Klimaanpassung in 20 bis 30 Jahren breiten politischen Konsens finden wird und bereits heute zentrale Weichen gestellt werden müssen. Man merkt, wie brutal der Klimawandel unsere Städte aufheizt und die Bäume sterben lässt. Zurzeit begreife ich Klimaanpassung eher noch als politische Pionieraufgabe. Das heißt, man muss sie verstehen, in entsprechende Handlungsprogramme überführen und dabei auch die politischen Prioritäten bei den Finanzen setzen. Grundsätzlich gilt: Flächenkonkurrenzen und damit einhergehende Konflikte existieren. Es gilt, Lösungen zu finden, damit unsere Städte und Gemeinden auch in Zukunft lebenswert bleiben. Es besteht dringender Handlungsbedarf!
ZKA: Herr Strößenreuther, wir danken Ihnen vielmals für dieses informative und offene Gespräch.