Gesundheit und Stadtplanung
im Interview mit Prof. Dr. Ing. Sabine Baumgart
Wie sieht eine gesunde Stadt aus? Diese Frage gewinnt im Kontext des Klimawandels immer mehr an Bedeutung. Die Stadtentwicklung beeinflusst maßgeblich die Gesundheit und das Wohlbefinden ihrer Bewohner*innen. Dabei spielt die Stadtplanung eine entscheidende Rolle, da frühzeitige Maßnahmen in der Planung und Gestaltung Belastungen vorbeugen oder reduzieren können. Das Zusammenspiel zwischen städtebaulicher Planung und Gesundheitsvorsorge sowie bestehende und potenzielle Handlungsfelder, wurden in einem Gespräch zwischen dem ZKA und Prof. Dr. Ing. Sabine Baumgart, ehemalige Präsidentin der Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz-Gemeinschaft (ARL), erörtert. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind nachhaltige Stadt- und Regionalentwicklung unter besonderer Berücksichtigung von Gesundheits- und Umweltaspekten.
ZKA: Wie lassen sich die diversen Konflikte, die bei der Raumplanung und -entwicklung Realität sind, zugunsten einer Gesundheitsvorsorge lösen?
S.B.: Die Wurzeln der Gesundheitsvorsorge reichen bis in die Antike zurück. So war sie ein Prinzip der räumlichen Planung, beispielsweise bei der Gestaltung von Straßen zur Durchlüftung der Stadt gemäß den Himmelsrichtungen sowie in der Hygiene von Luft und Wasser. Da Grund und Boden eine begrenzte Ressource sind, sind Konkurrenzen um die Nutzung von Flächen und Räumen immanenter Bestandteil der Flächennutzungsorganisation. Blickt man auf aktuelle Diskussionen zu Gesundheit im urbanen Raum, sind viele Trends erkennbar, die einen aktuellen Gesundheitsbezug haben. Zu den zentralen raumrelevanten Entwicklungen gehören demografische und klimabezogene Veränderungen sowie soziodemografische Segregationsprozesse, die sich in der Stadt und der Region räumlich niederschlagen.
Angesichts der aktuellen hohen Nachfrage nach Bauland und der Zielsetzung ressourcensparender nachhaltiger Siedlungsentwicklung werden die gesellschaftlichen Konflikte um Lärmschutz und Luftreinhaltung bei den Strategien der Innenentwicklung und der Ausweisung neuer Baugebiete am Stadtrand virulenter. Gesundheitsdeterminanten wie Luft- und Lärmbelastungen, die nachweislich zu Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen sowie Demenzerkrankungen führen, werden in der Debatte um Lebensqualitäten immer wichtiger. In einem Abwägungsprozess zwischen den unterschiedlichen Anforderungen an den Raum gilt es entweder die Konflikte zu lösen, sie zu minimieren oder in einem Aushandlungsprozess auszugleichen. Dennoch gilt für die städtebauliche Planung, dass Gesundheit nur ein Belang unter vielen privaten und öffentlichen Interessenslagen ist, die gegen- und untereinander fachlich-administrativ vorbereitet und politisch abgewogen werden müssen.
ZKA: Welche Strategien und gesundheitlichen Datengrundlagen werden berücksichtigt?
S.B.: Um gesundheitsrelevante Aspekte und Handlungsfelder in der räumlichen Planung in Deutschland zu erkennen, bedarf es der Kenntnis über die Schnittstellen zwischen räumlichen und gesundheitsbezogenen Themen sowie Perspektiven. Mit zunehmender Erkenntnis der planetaren Grenzen und natürlichen Ressourcen in Verbindung mit den Klimaveränderungen - und spätestens seit der COVID-19-Pandemie - hat Gesundheitsvorsorge im gesellschaftspolitischen Diskurs an Bedeutung gewonnen. Ein wichtiger Meilenstein für die räumliche Planung war der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz vom 24. März 2021, in dem die Schutzpflicht des Staates angesichts der Folgen des Klimawandels betont wurde und der auf valide Datengrundlagen sowie Planungs- und Entscheidungsprozesse verweist.
Dies gilt auch für wissenschaftlich belegbare Zusammenhänge zwischen Umwelt(belastungen), der menschlichen Gesundheit und sozio-ökonomischen Lebensverhältnissen. In einem demokratisch-legitimierten Planungssystem sind zunächst unterschiedliche Anforderungen und Interessenslagen zu erheben und mit Daten zu unterlegen. Anschließend müssen die Auswirkungen der jeweiligen Nutzung im sozial-räumlichen und ökologischen Kontext des Quartiers, des Stadtteils sowie der Gesamtstadterfasst, bewertet und gewichtet werden. Es ist wichtig, die Zusammenhänge zwischen sozialer Lage, Umwelt und Gesundheit auch kleinräumig, wie beispielsweise auf Quartiersebene, zu erkennen. Dazu gehört die Definition signifikanter Indikatoren und entsprechende Daten räumlich-kartografisch zu überlagern, um sozioökonomisch benachteiligte Stadtteile mit besonderem Bedarf an Gesundheitsförderung und Verbesserung der umweltbezogenen Ressourcen zu identifizieren und strategisch in den politischen Diskurs einzubringen. „Wer arm ist, lebt häufiger in einer Umwelt, die krank macht“, fasste es Andreas Troge, der damalige Leiter des Umweltbundesamts 2008 treffend zusammen.
ZKA: Welche Rolle spielt dabei auch der öffentliche Gesundheitsdienst?
S.B.: Der öffentliche Gesundheitsdienst ist während der COVID-19-Pandemie in der Öffentlichkeit stärker wahrgenommen worden als zuvor. Gesundheitsrelevante Argumentationen, die auf Evidenzen basieren, gewinnen an Gewicht, haben es aber nach wie vor schwer, sich gegen ökonomische Interessen, sei es bei der Inwertsetzung von Grund und Boden oder der Gebäudeausstattung, durchzusetzen. Die Pandemie hat die Bedeutung einer gut erreichbaren Nahinfrastruktur und Nahversorgung im Quartier verstärkt, wodurch auch der öffentliche Raum an Bedeutung gewonnen hat, in dem der Autoverkehr nicht mehr dominieren soll. Denn öffentliche Räume erfüllen vielfältige Funktionen in der Stadt: als Bewegungs- und Erfahrungsräume mit Aufenthaltsqualität, für Verweildauer, Gesundheit und Erholung sowie Selbstversorgung und der Identifikation und Aneignung dienen sie auch der Klimaanpassung und als Retentionsflächen im Rahmen des Oberflächenwassermanagements. Der öffentliche Gesundheitsdienst erfüllt eine Querschnittsaufgabe und sollte stärker als bisher von den Fachressorts einbezogen werden, im Sinne des WHO-Konzepts „Health in All Policies“, das jetzt erweitert wurde zu „Planetary Health“ und das Gesundheitsschutz, Biodiversität und Klimaschutz auf globaler Ebene einschließt.
ZKA: Wie läuft das Zusammenspiel von städtebaulicher Gestaltung und Gesundheitsvorsorge?
S.B.: Die Verantwortung für die Gesundheit liegt nicht nur beim Individuum, sondern auch bei den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Aus diesem Grund werden Gesundheitsdeterminanten als Faktoren, die die menschliche Gesundheit und das Wohlbefinden beeinflussen, einbezogen. Diese basieren auf Datengrundlagen zu dem individuellen Verhalten und den Verhältnissen, in denen Bevölkerungsgruppen leben. Zwar gibt es mancherorts einen Fachplan Gesundheit, es fehlt aber ein urbanes Monitoringsystem, das kleinräumige Daten zu Umweltsituation, Gesundheit und sozialer Lage der Bevölkerung integriert und gesundheitsrelevante Umweltveränderungen erfasst. International gibt es solche Konzepte und Instrumente. Im Kontext von Klimaanpassung und damit verbundenen Strategien zum Umgang mit Hochwasser, Starkregen oder Hitzebelastungen müssen Risikofaktoren wie die Vulnerabilität der Bevölkerung und vielfach auch der Infrastruktur sowie damit verknüpfte Schutzziele systematischer berücksichtigt werden. Eine qualifizierte Datenbasis, die digital aus unterschiedlichen Ressorts abrufbar ist und definierte und erprobte Schnittstellen sowie standardisierte gesetzliche/untergesetzliche Vorgaben aufweist, würde städtebauliche Planungsprozesse nicht nur qualitativ, sondern auch zeitlich unterstützen. Im Zusammenwirken von städtebaulicher Gestaltung und Gesundheitsvorsorge ist noch deutlich Luft nach oben.
Eine engere Kopplung von gesundheitsbezogenen Aspekten mit anderen planerischen Zielsetzungen wie z.B. Klimaanpassung oder Verkehrswende zugunsten des Umweltverbundes, befördert Gesundheitsvorsorge argumentativ. Neben guten Beispielen aus dem In- und Ausland braucht Gesundheitsvorsorge fachlich-politisch gewichtige Befürworter*innen, die kommunikativ in die Gesellschaft wirken und überzeugen.
Wir danken Prof. Dr. Ing. Sabine Baumgart für das Interview!
Ihre Vita: Städtebauassessorin, von 2002 bis 2018 Universitätsprofessorin/Leiterin des Fachgebiets Stadt- und Regionalplanung, Fakultät Raumplanung/TU Dortmund; assoziiertes Mitglied Institut für Public Health und Pflegeforschung (IPP), Universität Bremen; Mitinhaberin von BPW Stadtplanung, Bremen; von 2019–2022 Präsidentin der ARL – Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz-Gemeinschaft. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind nachhaltige Stadt- und Regionalentwicklung unter besonderer Berücksichtigung von Gesundheits- und Umweltaspekten.