Schwerpunktthema: Gesundheit und Klimaanpassung in sozialen Einrichtungen
Soziale Einrichtungen spielen eine entscheidende Rolle beim Schutz und der Unterstützung vulnerabler Bevölkerungsgruppen. Für sie besteht ein dringender Handlungsbedarf, sich an veränderte klimatische Bedingungen anzupassen, um die Gesundheit und das Wohlbefinden der von ihnen betreuten Menschen zu gewährleisten.
Wir sprachen dazu mit Vivianne Rau (VR) aus dem Team des ZKA. Vivianne Rau arbeitet seit der Gründung des ZKA 2021 als Trainerin und Beraterin insbesondere zu Themen von Gesundheit und sozialen Einrichtungen. Im letzten Jahr war sie Co-Autorin des Leitfadens für Klimaanpassung in sozialen Einrichtungen und der Publikation zu kommunalen Handlungsoptionen beim Thema Gesundheit und Klimawandel.
ZKA: Warum sind die sozialen Einrichtungen besonders von den Folgen der Klimakrise betroffen?
VR: In sozialen Einrichtungen, wie Kindergärten, Alten- oder Pflegeheimen, Flüchtlingsunterkünften oder Frauenhäusern sowie Einrichtungen für Menschen mit Behinderung oder Obdachlosenunterkünfte werden Menschen betreut, deren Gesundheit von den Auswirkungen der Klimakrise besonders gefährdet ist und die vor allem in ihrer Fähigkeit eingeschränkt sind, für sich selbst Vorsorge zu treffen. Diese Personengruppen gelten als vulnerabel: Kinder können beispielsweise ihre Körpertemperatur bei Hitze weniger gut regulieren und erleiden somit schneller einen Hitzschlag. Bei älteren oder vorerkrankten Menschen können extreme Temperaturen bestehende Krankheiten verschlimmern oder die Wirkung von Medikamenten verändern. Menschen mit eingeschränkter Mobilität, mit Behinderung oder Obdachlose sind im Katastrophenfall, etwa bei Hochwasser oder Starkregen, ganz besonders auf Hilfe angewiesen.
Diese Herausforderungen erfordern vom Personal sozialer Einrichtungen zum einen vorausschauendes Handeln und ggf. das Erlernen neuer Kompetenzen, zum anderen ein hohes Maß an physischer und psychischer Belastbarkeit und die Fähigkeit, schnell und effektiv auf Krisensituationen zu reagieren. Angesichts dieser Mehrfachbelastung durch die Folgen des Klimawandels ist es unabdingbar, soziale Einrichtungen als einen Schwerpunkt für Klimaanpassungsmaßnahmen zu betrachten. Sie müssen gestärkt werden, um den erhöhten Betreuungsaufwand zu bewältigen und gleichzeitig die eigene Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden zu schützen.
© Fabian Weiss
ZKA: Was können soziale Einrichtungen tun, um Vorsorge zu betreiben und welche Klimaanpassungsmaßnahmen machen Sinn?
VR: Hitze ist die aktuell gefährlichste Folge des Klimawandels für unsere Gesundheit. Um sofort aktiv zu werden, sind bereits vorgefertigte Musterhitzeschutzpläne für Kitas, Pflegeheime, Krankenhäuser aber auch ambulante Dienste besonders hilfreich. In jedem Fall sollten die Zielgruppen, also Mitarbeitende und betreute Menschen, einbezogen werden, um Klimaanpassung nachhaltig in der Einrichtungskultur zu verankern. Erste Schritte könnten darin bestehen, über die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels aufzuklären oder Selbstschutzmaßnahmen zu fördern.
Langfristig ist es sinnvoll, die Auswahl von Maßnahmen auf eine genaue Standort- und Zielgruppenanalyse zu stützen. Der erste Schritt besteht darin, eine Bestandsaufnahme zu machen: Befindet sich die Einrichtung in einem Gebiet, das durch Hochwasser oder Starkregen gefährdet ist? Liegt sie in einem Hitze-Hotspot? Gibt es in der Umgebung Möglichkeiten zur Abkühlung? Auch der tägliche Ablauf der betreuten Menschen sollte berücksichtigt werden. Müssen Gebäudestrukturen angepasst werden, oder gibt es Flächen, die entsiegelt oder begrünt werden können?
Bei der Beantwortung dieser Fragen ist es ratsam, den Dialog mit den zuständigen Verwaltungsstellen zu suchen, um kommunale Ressourcen wie Starkregengefahrenkarten und Hitzeaktionspläne zu nutzen. Auf diese Weise können die Aktivitäten des Trägers oder der Einrichtung gut mit der kommunalen Planung und dem Katastrophenschutz verzahnt werden, sodass von der Warnung bis zur Evakuierung zusammen gedacht und geübt werden kann.
ZKA: Wo gibt es bereits gute Praxisbeispiele, die auch andere Einrichtungen zum Nachmachen anregen?
VR: Einige soziale Einrichtungen sind bereits Vorreiter in Sachen Klimaanpassung und haben beeindruckende Praxisbeispiele geschaffen, die zur Nachahmung einladen. Ein Blick auf die Webseite der Zukunft – Umwelt – Gesellschaft (ZUG) lohnt sich, da dort die im Rahmen der BMUV-Förderrichtlinie AnpaSo geförderten Projekte und Praxisbeispiele aufgeführt sind. Sehr spannend sind die in diesem Zusammenhang geschaffenen neuen Personalstellen für Klimaanpassungsbeauftragte in sozialen Einrichtungen (KABS). KABS spielen eine Schlüsselrolle, da sie systematisch und einrichtungsübergreifend Ansätze für klimaresiliente soziale Einrichtungen entwickeln und so auch den Weg für andere Einrichtungen ebnen.
Für Einrichtungen, die keinen Zugang zu solchen Multiplikatoren haben, gibt es zahlreiche hilfreiche Dokumente und Handlungshilfen. In unserem Leitfaden für soziale Einrichtungen zeichnen wir das Zielbild einer gesundheitskompetenten sozialen Einrichtung. Der integrative Ansatz umfasst sechs Handlungsfelder: von der Entwicklung eines zukunftsorientierten Leitbildes und der Schulung der Mitarbeitenden bis hin zur aktiven Einbindung von betreuten Personen und Angehörigen. Auch die (naturnahe) Umgestaltung von Liegenschaften und die Vernetzung mit dem kommunalen Umfeld spielen eine wichtige Rolle. Der Vorteil von ganzheitlichen Ansätzen: häufig ergeben sich unerwartete Synergien, z.B. mit dem Arbeitsschutz oder dem betrieblichen Gesundheitsmanagement, die ggf. auch neue Finanzierungswege eröffnen.
In jedem der Handlungsfelder gibt es gesundheitsrelevante Maßnahmen - die finale Auswahl und die Priorisierung der geeignetsten Maßnahmen ist am Ende sehr individuell. In unserem Leitfaden finden sich viele praktische Tipps, von Schulungskonzepten, Arbeitshilfen bis konkrete Umsetzungsbeispiele.
ZKA: Wie lautet dein persönlicher Wunsch für soziale Einrichtungen? Wo kann die Reise hingehen?
VR: Mit Blick auf die geballte Gesundheits- und Klimaanpassungskompetenz, die in Kommunen und sozialen Einrichtungen bereits heute existiert, wünsche ich mir, dass noch proaktiver aufeinander zugegangen wird. Die Reise muss zwangsläufig dahin gehen, dass wir den besonderen Schutz von sozialen Einrichtungen im Klimawandel als gesamtgesellschaftliche Aufgabe betrachten. Ziel muss es sein, dass soziale Einrichtungen auch angesichts des fortschreitenden Klimawandels Orte der Fürsorge, des Schutzes und der Heilung bleiben können. Und da wir alle Berührungspunkte mit dem Gesundheits- und Sozialsystem haben, kann jede*r den Anstoß geben – als Eltern, Angehörige oder Bewohnende einer Einrichtung.
ZKA: Liebe Vivianne, vielen Dank für die interessanten Hintergrundinfos. Wir hoffen, dass sich viele soziale Einrichtungen auf den Weg zu gesundheitskompetenten Einrichtungen begeben und dabei viel Unterstützung erfahren.
